„Coworking auf dem Land ist ein ganz heißes Thema!“
Der Gründer des Coworking Spaces Ammersee Denkerhaus Hans-Peter Sander denkt Zusammenarbeit neu und verliert dabei die Menschen und das Klima nicht aus dem Blick.
Das Digitale-Teams-Team hat sich Mitte August aus ganz Deutschland auf den Weg Richtung Bayern gemacht, um im Denkerhaus am Ammersee im Priorisierungsworkshop gemeinsam zu arbeiten. Und weil es nicht alle Tage vorkommt, dass man im ländlichen Raum, weit entfernt von den großen Metropolen (München liegt etwa 50 km nordöstlich von Dießen entfernt), einen Coworking Space findet, soll in diesem Blogbeitrag dessen Gründer Hans-Peter Sander vorgestellt werden.
Coworking Spaces sind in deutschen Großstädten schon lange keine Seltenheit mehr. Hier gibt es viele Selbstständige, eine lebendige Start-up-Kultur oder eine aufregende Gründer-Szene sowie Menschen mit flexiblen Arbeits- und Lebenskonzepten. An Orten wie Berlin, München oder Leipzig ist es kein Problem, die Entscheidung zu treffen, wo man arbeiten möchte. Wie sieht es aber auf dem Land aus? Auch hier arbeiten Selbstständige, Freelancer und Homeofficers, aber welche Angebote finden sie vor? Vor dieser Frage stand auch der freiberuflich arbeitende PR-Berater Hans-Peter Sander:
„Wo kann ich arbeiten, wenn nicht am heimischen Schreibtisch, über dem mir die Decke auf den Kopf fällt?“
Aus der Not wurde mit viel ehrenamtlichen Engagement eine Tugend gemacht und der Coworking Space Ammersee Denkerhaus in Dießen als Genossenschaftsmodell gegründet. Die gute Auslastung zeigt: Seine Idee funktioniert. Aktuell sind von den 7 Schreibtischen 4-5 ständig besetzt, zusätzlich gibt es 5 kleine Einzelbüros, die immer vermietet sind. Die Homeofficers finden im Denkerhaus alles vor, was sie zum Arbeiten brauchen: Wlan, Strom, eine Kaffeeküche und sozialen Anschluss. Das Ammersee Denkerhaus bietet flexible Preismodelle an. Diese Flexibilität ist auch im Hinblick auf die Kündigung wichtig und maßgeblich für den Erfolg des Coworking Spaces. In den letzten 6 Jahren des Wachstums und des Erfolgs bildete sich neben ein paar Start-ups ein fester Kundenstamm heraus. Konnte Sander den neu gegründeten, wachsenden Start-ups keine Räumlichkeiten mit entsprechender Größe anbieten, zogen diese weiter und eine sichere Einnahmequelle fiel weg. „Ein Learning“, so Sander, „mit dem wir umgehen müssen“.
Überhaupt sind es der Platz und die personellen Kapazitäten, die immer mal wieder Probleme bereiten. Der Versuch, mit Hilfe eines erfolgreich verlaufenen Start-up-Wettbewerbs eine Gründerszene in der Region zu etablieren, scheiterte vorerst schlicht am Platzmangel für die tatsächlich gefundenen Start-ups. Der Coworking Space wird derzeitig noch ehrenamtlich getragen, was auch an einem der größten Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Coworking-Modellen liegt, führt der Gründer aus: „Auf dem Land kann Coworking nicht als reines Business begriffen werden, da hierfür schlicht die Kundenstruktur fehlt. Wir können uns nicht mit Berlin oder Frankfurt vergleichen.“
In dem idyllischen bayerischen Örtchen Dießen mit etwa 10.500 Einwohnern gibt es natürlicherweise ganz andere Ausgangsbedingungen als in den großen Städten: Nach wie vor muss Sander bei vielen Anfragen „Coworking“ erklären, dass er keine Büros sondern vorrangig flexible Schreibtische vermietet und was ein Coworking Space überhaupt ist. Doch: „Coworking auf dem Land ist ein ganz heißes Thema und bietet viele Vorteile“, so der Gründer. Warum sollte man z. B. die Bürgersäle, die ohnehin nur abends und am Wochenende genutzt werden, nicht tagsüber zum Coworking Space umfunktionieren? Warum nicht leerstehende Räume etwa in ehemaligen Bankfilialen oder Bahnhöfen in den Dörfern nutzen und gemeinsame Finanzierungsmodelle mit der Gemeinde finden? „Die Zeit ist reif für neue Überlegungen“, konstatiert Sander: Gelder aus der Wirtschaftsförderung fließen viel zu häufig in neue Gebäudekomplexe, anstatt in die bestehende Infrastruktur oder gar in den Betrieb von kleinen Coworking Spaces. Darüber hinaus wird aktuell nach wie vor das Pendeln zum Arbeitsplatz gefördert, anstatt innovative Ideen wie das Coworking, zu unterstützen und damit ortsunabhängiges Arbeiten zu fördern. Es ist gerade in Zeiten des menschengemachten Klimawandelns Aufgabe der Politik, das Mobilitätsverhalten der Menschen zu ändern. Lange Fahrten mit dem Auto vom Land in die Stadt ins Büro können durch das Schaffen einer neuen Arbeitsinfrastruktur verringert werden, die Lebensqualität der Pendlerinnen und Pendler kann zunehmen ebenso wie die Attraktivität des ländlichen Raums.
Sander ist sich sicher, dass Pendler neben den Homeofficers eine große neue Zielgruppe für ländliche Coworking Spaces werden könnten. Hierfür müssen allerdings Arbeit und Arbeitsort neu und gegenwärtiger begriffen werden, als es in vielen Unternehmen und in der Politik derzeit noch gängige Praxis ist. Zwar ermöglichen einige Arbeitgeber Homeoffice, allerdings unter Auflagen und gebunden an einen festgelegten heimischen Arbeitsplatz. Die Entwicklung neuer Formate des individuellen und gemeinsamen Arbeitens ist nicht nur ein Thema für die großen Städte, sondern insbesondere für den ländlichen Raum.
Er hofft, dass diese Ideen bald von Politikern, Fördermittelgebern und Unternehmen wahrgenommen werden, um einen dringend notwenigen Wandel der Arbeitswelt voranzutreiben. Hans-Peter Sander wurde mit seinem Coworking Space zum digitalen Pionier im ländlichen Raum, der gemeinsam mit vielen anderen Pionieren dazu beiträgt, gegenwärtige Vorstellungen von Arbeit und insbesondere Arbeitsorten zu überdenken und die Notwendigkeit von kollaborativer digitaler Zusammenarbeit in ländlichen Gebieten zu stärken.